Schwerte. Die Ermittlungen sind abgeschlossen, die Anklage ist fertig. Der Vorwurf darin klingt ungeheuerlich: Aus dem beschaulichen Westhofen soll Anfang 2019 ein hinterhältiger Mordanschlag geplant und gesteuert worden sein. Auftragsgemäß wurden daraufhin in Köln-Buchheim 12 Schüsse aus einer Maschinenpistole abgefeuert.
Im Clubhaus der Rockergang „Bandidos“ an der Reichshofstraße wird gerne gefeiert. Dort ist auch schon mal Schlager-Party angesagt. Am 4. Januar letzten Jahres war es wohl eher eine Party mit Schläger: Bereits ab mittags, so die Erkenntnisse der Ermittler, hielt sich dort Selahattin E. (38) auf und blieb zum Feiern bis tief in die Nacht. Der Bandidos-Chef aus Dortmund ist ein vorbestrafter Vergewaltiger und mehrfacher Gewalttäter, also kein Kleinkaliber.
Selahattin E., ein tätowiertes Muskelpaket mit türkischen Wurzeln, gehört als sogenannter „National“ der Bandidos-Führungsebene „Federation West Central“ an (deren Einzugsgebiet sich über NRW bis nach Benelux ausdehnt). Die 1966 in Texas (USA) gegründete Motorrad-Rockervereinigung, die inzwischen weltweit agiert, ist streng hierarchisch aufgebaut: Oben wird entschieden – nach unten hin delegiert.
Als „Sergeant at Arms“ (Sicherheits-Chef und Waffenmeister) soll Selahattin E. auch das Attentat 2018 auf der Kölner Zoobrücke befohlen haben: Aus einem fahrenden Auto feuerten damals zwei Bandidos auf ein entgegenkommendes Fahrzeug, in dem Mitglieder des rivalisierenden Rocker-Clubs „Hells Angels“ saßen. Die Kugeln trafen jedoch einen unbescholtenen Schüler (21), der schwerverletzt hinter dem Steuer zusammenbrach.
Schießerei mitten in Kölner City
Szenenwechsel. Zurück ins Clubhaus nach Westhofen, dem Treff des örtlichen Bandidos-Chapters „Unna/Schwerte“ – in dem sich der übergeordnete „National“ Selahattin E. an jenem 4. Januar 2019, einem Freitag, aufhielt. Und wo ihn gegen 14.30 Uhr die aktuelle Nachricht ereilte, dass es soeben in der Kölner City einen weiteren Vorfall im blutigen Revierkampf zwischen Bandidos und Hells Angels gegeben hatte. In Nähe des Doms, im Büro eines Steuerberaters, waren zwei ehemals befreundete Shisha-Bar-Geschäftspartner, die nunmehr den beiden verfeindeten Rockergangs angehörten, aneinandergeraten: Der Streit zwischen dem Kölner Bandidos-Chef Aykut Ö. (31) und dem ranghohen Höllenengel Orhan A. (29) hatte sich bis auf die Straße verlagert, wo beide auch schossen. Eine Kugel wurde aus einem Revolver Magnum 375 abgefeuert.
Den Schusswechsel in der Kölner Innenstadt soll Bandidos-Größe Selahattin E., den seine untergeordneten Kuttenträger auch ehrfürchtig „den Paten“ nennen, zum Anlass genommen haben, aus dem Westhofener Clubhaus heraus „einen sofortigen Gegenschlag anzuordnen“. Da sind sich die Ermittler sicher. Vier Rockerclub-Mitglieder, die aktuell in Untersuchungshaft sitzen und auf ihren Strafprozess warten, wären am 4. Januar umgehend „als personelle Verstärkung nach Köln abkommandiert“ worden.
Köln-Buchheim am selben Abend, 22.24 Uhr. Im „Café Joker’s“, dem stadtbekannten Hells-Angels-Treff, sitzen etwa 20 Personen an Tischen und spielen Karten, als plötzlich aus dem Dunkel eine Schuss-Salve abgefeuert wird: 12 Projektile einer Ceska-Maschinenpistole (Modell Skorpion 61) fliegen von draußen gegen die Außenfassade, durchschlagen in Kopf- und Brusthöhe die Tür. Aufgeschreckte Gäste werfen sich zu Boden oder verschanzen sich hinter ihren Tischen. Das ist auf dem Überwachungsvideo deutlich zu erkennen. Nach wenigen Sekunden ist die Attacke vorbei.
Spektakuläre Festnahme mit Räumpanzer
Einem Wunder gleich wird niemand verletzt, der Anschlag wird jedoch von der Staatsanwaltschaft Hagen als „mittäterschaftlich versuchter Mord“ und „Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz“ gewertet. Vier beschuldigte Bandidos sitzen derzeit in Untersuchungshaft und warten auf ihren Prozess. Ein ganzes Jahr sollte vergehen, bis die monatelang abgehörten Handygespräche auf die Spur des mutmaßlichen Schützen und seiner drei Komplizen führten. Dabei wurde auch ein Telefonat belauscht, in dem einer der Verdächtigten einen Rocker-Kumpel warnte: „Egal, was in Köln passiert ist, egal, was ihr wisst: Keiner darf ein Wort sagen.“
Die nun vorgelegte Anklage gewährt brisante Einblicke in die Führungsstrukturen der Bandidos, der mit 820 Mitgliedern und 27 Chaptern wohl mächtigsten Rockergang in NRW, die seit 2017 versucht, ihre Macht, auch mit Gewalt, auszubreiten: In blutigen Bandenkriegen mit den „Freeway Riders“ in Hagen und den „Hells Angels“ in Köln. Die lange Liste der Straftaten, ausgeführt von kriminellen Rockern, reicht von Geiselnahme, Überfällen, Massenschlägereien bis hin zum Auftragsmord – und immer wieder Schießereien.
Direkt nach ihrem misslungenen Mordanschlag in Köln-Buchheim sollen die vier mutmaßlichen Attentäter zur Reichshofstraße nach Westhofen gefahren sein. Dort, im Bandidos-Clubheim, lief noch immer die Party und dort mussten sie ihrem Bandidos-Vorgesetzen „Bericht erstatten“. Selahattin E. sei wegen des „Fehlschlags“ sehr verärgert gewesen und hätte getobt: „Alter, fünf Meter davor und ihr kriegt das nicht auf die Reihe.“
Im Rahmen einer spektakulären Festnahme-Aktion wurde Selahattin E. in den dunklen Morgenstunden des 28. Januar dieses Jahres verhaftet: Mit einem Räumpanzer hatte ein Spezialeinsatzkommando (SEK) das Gartentor seiner Villa im bürgerlichen Dortmund-Holzen plattgewalzt, Blendgranaten geworfen und den führenden Bandidos-Chef in Handschellen gelegt. Seitdem kauert er in Untersuchungshaft.